Edelweisspiraten

WAS UND WER WAREN DIE EDELWEISSPIRATEN

Im Jahr 1991 wurden die Edelweisspiraten in Berlin gegründet. Die Hochzeit der Gruppe kann auf 1992 – 1995 datiert werden, sie bestand bis 1996/1997. Diese Jugendgruppe setzte sich mit ihrem Namen in die Tradition der historischen Edelweisspiraten, die während des Nationalsozialismus auf unterschiedliche Weise sich dem Zugriff der Hitler-Jugend entzogen und Widerstand gegen die Nazis leisteten.

Die historischen Edelweisspiraten waren keine feste Organisation, sondern lose Freundeskreise und wilde Cliquen, die der bündischen Jugend entstammten. Mitunter war Edelweisspiraten nur ein Repressionsbegriff der Gestapo und keine Selbstbezeichnung, und diente dem Zweck, Jugendgruppen zu fassen, die sich dem NS widersetzten.


Gründung derEdelweisspiraten 1991

Die 1991 neu gegründeten Edelweisspiraten, oft abgekürzt als Epis, entstanden im Klima der Nachwendejahre mit den rassistischen Pogromen von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen, die später den Namen „Baseballschlägerjahre“ bekamen. Viele Jugendliche wollten in den frühen 1990er Jahren aktiv gegen Neonazis werden. In ganz Deutschland schossen „Jugendantifa- Gruppen“ wie Pilze aus dem Boden und hatten starken Zulauf von zum Teil sehr jungen, anpolitisierten Jugendlichen ohne vorherige Erfahrungen in politischen Organisationen.

Andreas Robert Kuhrt nutzte das historische Fenster dieses Antifafrühlings und gründete die Edelweisspiraten. Schnell wuchs die Gruppe von einer Handvoll Leute auf 30 – 50 Jugendliche im Alter von 11 – 18 Jahren an, wobei eine starke Fluktuation herrschte. Kuhrt, geboren 1961, war 15 – 20 Jahre älter als seine Mitstreiter (es waren zu 90 % Jungen) bei den Epis. Er war mit Abstand der Älteste und bis auf sehr wenige, die gerade die Volljährigkeit erreicht hatten, der einzige Erwachsene. Es wurde der Anspruch formuliert, anders als andere Antifagruppen, ein Freundeskreis zu sein und nicht nur eine reine politische Gruppe.



Aktivitäten der Edelweisspiraten

Die Edelweisspiraten kopierten im politischen Aktionismus und Ausdruck viele Elemente der Antifa Jugendfront, an der Kuhrt in den Jahren zwischen 1986 und 1991 beteiligt war. Gleiches galt für die Organisationsform. Die Epis waren wie die Antifa Jugendfront eine „halboffene Gruppe“. Das heißt die Gruppe war mit Postanschrift sowie einem Antifa-Versand öffentlich ansprechbar. Es konnte aber erst nach einem Aufnahmegespräch an den Gruppenaktivitäten teilgenommen werden. In der Regel war Kuhrt bei den Aufnahmegesprächen dabei und konnte so steuern, wer Mitglied der Epis wurde. Jahrzehnte später bezeichnen damalige Mitglieder der Edelweisspiraten diese Gruppierung als „sektenartige Struktur ohne religiösen Kern“.

Auch in anderen Städten gab es Edelweisspiraten-Ortsgruppen, diese trugen den Namen Stämme. In Berlin lag aber eindeutig das Zentrum der Organisierung, welches Kuhrt bildete. Zur Koordination hatte die bundesweite Edelweisspiratenstruktur einen internen Rundbrief, dieser trug später den Namen „Riot”, sowie gelegentlich bundesweite Treffen. Die Edelweisspiraten in Berlin waren durch Sticker und Graffiti sehr im Berliner Stadtbild präsent, wodurch immer wieder neue Jugendliche zur Gruppe stießen und es eine hohe Fluktuation gab. Die Jugendlichen kamen aus ganz Berlin und hatten sehr unterschiedliche soziale und familiäre Hintergründe.



Wohngemeinschaft der Edelweisspiraten

Trotz aller Fluktuation gab es gleichzeitig einen festeren Kern, der in verschiedenen Konstellationen in einer großen WG in der Nähe des Rosenthaler Platz in Berlin-Mitte mit Kuhrt zusammenwohnte. Diese WG war gleichzeitig Wohnort, Treffpunkt der Edelweisspiraten und erster Anlaufpunkt für Jugendliche, die nicht mehr bei ihren Eltern wohnen wollten oder konnten. Hier kam es aber auch zur Abkapselung und zum späteren Bruch eines Teils der in der WG lebenden Jugendlichen mit Kuhrt ab Mitte der 1990er Jahre. Sie benutzten damals das Wort “Missbrauch”, um die Beziehungsstruktur zwischen Kuhrt und ihnen zu bezeichnen. Aus diesem Bruch entstammt der hier dokumentierte Text, in dem die Missbrauchstrukturen in der Wohngemeinschaft thematisiert und kritisiert werden. Als abschließende Konsequenz wird Andreas Kuhrt aufgefordert aus der WG auszuziehen.



DOKUMENTE SEXUALISIERTER GEWALT UND EMOTIONALER ERPRESSUNG BEI DEN EDELWEISSPIRATEN

Aus der Gründungsphase der Edelweisspiraten stammen die folgenden Briefe, die der damals 30 jährige Andreas Kuhrt an einen damals 13 jährigen Jugendlichen geschrieben hat. (Brief 1 und Brief 2) Sie sind mit dem von ihm damals genutzten Pseudonym “Pipo” unterzeichnet.

Angesichts des Altersunterschiedes ist der Inhalt der Briefe nur schwer zu ertragen. Kuhrt macht den Jugendlichen hier für seine Einsamkeit verantwortlich und fordert, dass dieser sich mehr um ihn kümmern solle, da es ihm sonst sehr schlecht gehen würde.

Er schildert ausführlich, wie er in den letzten Jahren “Zärtlichkeit und Vertrauen” bei Jugendlichen gesucht hat. Sätze wie “Es ist ja auch z.B. fast immer das erste mal (für ihn) gewesen, wenn ich mit einem Jungen geschlafen habe.” belegen, dass Kuhrt sich systematisch jüngere Sexpartner aussuchte.

Es wird auch eine längere “Freundschaft” zu einem Jungen erwähnt, bei der sich “eine richtige Liebe” entwickelt haben soll und die “nach zwei Jahren langsam wieder auseinanderging”. Diese zwei Jahre wären “die einzigen zwei Jahre in denen” er “wirklich glücklich war und wo” er “keine Depressionen und sowas hatte”. Hier zeigt sich wie Kuhrt gezielt Jugendliche ausnutzte, um seine eigenen psychischen Probleme zu lindern. Da im Abschnitt direkt danach seine nur wenige Monate zurückliegende Trennung von der Antifa Jugendfront geschildert wird, liegt der Schluss nahe, dass die zweijähre “Freundschaft” in die Zeit bei der Antifa Jugendfront fiel.


Emotionale Erpressungen und Suiziddrohungen

Immer wieder betont Kuhrt, dass nur die Liebe zu dem angesprochenen Jugendlichen ihn aus seiner schlechten mentalen Verfassung holen könnte. Er schildert seine Depressionen und sein geringes Selbstwertgefühl. In diesem Zusammenhang werden auch Suizidversuche erwähnt. Er äußert den Wunsch mit dem angesprochenen Jungen schlafen zu wollen und bietet ihm eine “Freundschaft, die weiter geht, als deine anderen Freundschaften” an.

In einem Abschiedsbrief, der an mehrere Jugendliche gerichtet ist, heißt es “es tut mir sehr weh, dass ich euch das antue. Aber selbst eure Freundschaft war nicht mehr stark genug. Bitte verliert nicht den Mut, auch wenn ich nun nicht mehr bei euch bin”. Er erwähnt seine Einsamkeit, die nach dem Rauswurf aus dem Friedrichshainer Hausprojekt schlimmer geworden sei. Siehe auch die Schilderung des Rauswurfs in “Interim Achtung”. Er gibt den angesprochenen Jugendlichen indirekt die Schuld an seinem wohl doch nicht erfolgten Suizid, da sie sich nicht genug um ihn gekümmert hätten. Er bräuchte “Liebe und will nicht immer darum betteln”.



Kontinuität der Täterstrategie

Aus diesen verstörenden Dokumenten wird klar, wie Kuhrt die in den Flugschriften der Morgenlandbande und des Kinderfrühlings herbeigesehnten “Kommunen” mit Kindern in die Tat umsetzte. Emotionale Erpressung und Selbstmitleid waren die Mittel, mit denen die Jungs zu “Liebe” und “Zärtlichkeit” mit ihm genötigt wurden. Daraus, dass er sich in den Briefen auf seinen Weggang aus der Antifa Jugendfront und seine Beziehungen aus der Zeit in der Antifa Jugendfront bezieht, kann man getrost folgern, dass auch diese Beziehungen nach diesem Erpressungsmuster funktioniert haben. Wie ein Hohn liest sich nach der Lektüre dieser Dokumente sein Verteidigungsschreiben, das er im Zusammenhang mit der ab Mitte der 90er Jahre geführten Debatte in der Interim um seine Person veröffentlicht hat. Sehr gut illustriert wird Andreas Kuhrts Verlogenheit im Zusammenhang mit seinen angeblichen “Freundschaften” mit Jugendlichen auch in dem von Mitglieder der Edelweisspiraten Ende der 90er verfassten und intern verbreitetem Schreiben


GRÜNDUNG EINES VEREINS FÜR JUGENDFAHRTEN

Den Edelweisspiraten ist in Ästhetik und politischen Slogans die Herkunft aus der anti-autoritären linksradikalen Szene leicht anzumerken. Um auch andere, bürgerlichere Kreise anzusprechen und eine juristische Ansprechperson zu haben, gründet Kuhrt im Jahr 1993 einen Verein für antifaschistische Kultur. 1999 wird der Verein wieder aus dem Vereinsregister gelöscht. Laut den Vereinsakten war Kuhrt im Vorstand, die anderen beiden im Vorstand sind damals Schüler*innen.

Mit diesem Verein werden zwei Jugendbildungsreisen nach Tschechien (August 1994) und Polen (Sommer 1995) durch Kuhrt organisiert. Er ist der einzige Erwachsene (er ist damals 33 bzw. 34 Jahre alt) vor Ort. Die anderen Teilnehmenden sind Teenager und fast ausschließlich Jungs. In Tschechien teilt er sich mit mindestens einem sehr jungen Jungen eine Hütte.



Um gegenüber den Erziehungsberechtigten der Jugendlichen zu verschleiern, dass es sich um Gruppenfahrten der Edelweisspiraten handelt, wird ein unverfänglicher Flyer gestaltet. Dieser hat als Kontaktadresse einen Infoladen in Hamburg, damit keine Rückschlüsse darauf zu finden sind, dass es sich um eine Fahrt handelt, an der nur Berliner Edelweisspiraten teilnehmen. Damit Kuhrt bei der Abfahrt nicht von den Eltern gesehen wird, fährt er nicht mit der Gruppe gemeinsam mit der Bahn, sondern reist mit dem PKW an.

Nach der Trennung der Edelweisspiraten von Kuhrt probiert dieser sich bei einem kirchlichen Träger als Gruppenleiter für Jugendfahren zu bewerben. In dieser Bewerbung gibt er die beiden Fahrten und den Verein als Referenz für eine solche Tätigkeit an.



UNKRAUT

Unmittelbar nach dem Rauswurf aus den Edelweißpiraten im Sommer 1996 beginnt Kuhrt mit dem Aufbau einer neuen Jugendgruppe, die er UNKRAUT nennt. Gezielt spricht er Jungen im Alter von 12-16 Jahren an, mit ihm „etwas Neues“ aufzubauen. Er entwickelt ein Logo und ein „Konzept“ für die Gruppe, lässt T-Shirts drucken und organisiert eine Fahrt nach Tschechien, an der in den Herbstferien 1996 eine Handvoll Jugendlicher teilnehmen.



Die Edelweißpiraten sind Blaupause und gleichzeitig neues Feindbild der Gruppe. Tatsächlich kommt es kurze Zeit später bei einem geplanten Gründungstreffen im Humbolthain zu einer Auseinandersetzung zwischen Edelweißpiraten und Kuhrt. Hierzu wurde auch ein Flugblatt mit dem Titel “Pipo verpiss dich!” veröffentlicht. Die Gründung zerplatzt und das Projekt UNKRAUT verläuft sich im Sande.