80’er Jahre


Morgenlandbande-Kinderfrühling

Im Jahr 2019 erscheint die Vorstudie „Programmatik und Wirken pädosexueller Netzwerke in Berlin“

Die freie Historikerin Iris Hax und der Kulturwissenschaftler Sven Reiß graben sich tief durch die Berliner Archive. In Ihrer Studie widmen sie einen 3,5 Seitigen Absatz Andreas Robert Kuhrt unter der Überschrift „9.7. Von der Morgenland-Bande zur Jugendantifa Edelweißpiraten“ (S. 114 – 117). Sie stoßen auf Veröffentlichungen der frühen 1980er Jahre von zwei Gruppen, dem „Kinderfrühling Berlin“ und der „Morgenland-Bande“, die sich an der Nürnberger „Indianerkommune“ orientieren und sich mit Sexualstraftätern solidarisieren. Diese Publikationen sind hier dokumentiert. Sehr viele Indizien sprechen dafür, dass Kuhrt diese mitverfasst hat oder sogar ganz alleine herausgegeben hat. Oft wird aus der „Ich“ Perspektive geschrieben, dann wieder suggeriert, es stehe eine Gruppe dahinter.

Es findet sich Kuhrts damaliger Spitzname Paschai sowie eine Anschrift darin, die Kuhrt zugerechnet werden kann. Es werden Bilder und Zeichnungen genutzt, die später in Materialien der Antifa Jugendfront wieder auftauchen. Ganze Sätze und Absätze sind zwischen Kinderfrühling Rundbrief und Pamphleten der Morgenland Bande identisch.

Die Texte schwenken zwischen Flugblattprosa, Stellungnahmen, Tagebucheintrag, Spendenaufruf und Kontaktanzeige. Sie sind sehr subjektiv geschrieben, was vermuten lässt, dass nur ein Autor und zwar Andreas Robert Kuhrt mit Anfang Zwanzig dahintersteckt und keine Gruppe mit vielen Mitgliedern.

Interessant sind diese über vierzig Jahre alte Schriftstücke, da der Autor sich als „Pedo“ bezeichnet und vom kommunenartigen WG-Leben von sich u. a. „kinderfreunden“ mit Kindern / Jugendlichen träumt.

Später setzt Kuhrt dieses Vorhaben um und gründet solche Kommunen-WGs.

Morgenlandbande_

Morgenlandbande_2

Kinderfrühling_Rundbrief

Paschai / Pipo, die Antifa Jugendfront (AJF) und die Jugend Antifa Koordination Berlin (JAKOB)

Gründung der Antifa Jugendfront

Die Antifa Jugendfront (AJF) gründete sich im Frühjahr 1986 zunächst unter dem Namen “Jugendgruppe gegen Faschismus und Rassismus”. Im Mai 1986 erschien ein Flugblatt (siehe “Jugendgruppe_gegen_Faschismus_und_Rassismus_05_1986”), auf dem zu einem offenen Treffen zur Gründung eben dieser Gruppe aufgerufen wird. Im Oktober 1986 erscheint die erste Ausgabe der Flugschrift “Antfaschistisches Jugendinfo 01”. Dort heißt es “Unsere Gruppe setzt sich aus Schüler / innen und Lehrlingen im Alter von ca. 15 bis 25 Jahren zusammen. Wir wollen vorwiegend an Schulen, auf Schul- und Straßenfesten, in Jugendfreizeitheimen usw. antifaschistische Aufklärungsarbeit leisten.” In der Ausgabe “Antifaschistisches Jugendinfo 13” wird im im November 1987 die Gründung der “Antifa Jugendfront” als Zusammenschluss der “Jugendgruppe gegen Faschismus” und “anderen Berliner Antifaschisten aus mehreren Schulen” verkündet. Die neue Gruppe soll “in Zukunft einen Großteil der Jugend-Antifa in Berlin koordinieren”.

Zwischen Oktober 1986 und November 1989 sind insgesamt 34 Ausgaben der Flugschrift “Antifaschistisches Jugendinfo” erschienen. (siehe Antifaschistisches Jugendinfo_Antifa_Jugendinfo_index) Ab Mai 1988 erscheint das Blatt mit neuem Layout unter dem Namen “Antifa Jugendinfo” Das Antifa Jugendinfo erschien noch bis in die 90’er Jahre weiter.

Das “Antifa Jugendinfo” wurde regelmäßig an vielen Berliner Schulen verteilt. Die “Antifa Jugendfront” war in dieser Zeit wesentlich an der Mobilisierung von Schülern für antifaschistische Aktionen bis hin zu Großdemonstrationen und Blockaden von Veranstaltungen rechter Organisationen beteiligt. Siehe auch “AntifaJugendinfo_27 “ Artikel “Action gegen die Republikaner”.


Ziele und Arbeitsweise der Antifa Jugendfront

Die Ziele und die Arbeitsweise der AJF sind im” Antifa Jugendfront_Selbstverständnis” beschrieben.

Dort wird die AJF als” eine Gruppe, die eine revolutionäre Veränderung der Gesellschaft anstrebt“, bezeichnet. Weiter sieht sich die AJF „Als Gruppe, die sich der radikalen Linken zugehörig fühlt und gleichzeitig Teil der antifaschistischen Bewegung ist

Zur antifaschisten Arbeit heißt es, dass sich “viele von uns über dieses Thema politisiert und radikalisiert haben und es auch in Zukunft zu erwarten ist, daß Jugendliche über die Ablehnung rechtsextremer Tendenzen zu erreichen und politisch weiterzuentwickeln sind.”

Über die praktische Arbeit der Gruppe heißt es, dass diese aus den drei Bereichen besteht:

ÖFFENTLICHKEITSARBEIT (Aufklärung und Propaganda über Flugblätter, Demos, das ANTIFA JUGENDINFO, Veranstaltung u.a.)

STRUKTURARBEIT (Aufbau von arbeitsfähigen Strukturen, Diskussions- Möglichkeiten, Unterstützung neuer Antifagruppen)

WIDERSTAND (Be- oder Verhinderung von FaschoVeranstaltungen, aktiver Protest usw., Organisierung von der Basis aus)“

Die Jugendantifa Koordination (JAKOB) wurde im Mai 1988 als Bündnis aus unabhängigen Bezirks und Schülergruppen gegründet. (Siehe “Antifa Jugendinfo 19 Seite 2 und Seite 4) Aus den Artikeln lässt sich ableiten, dass die AJF beim Aufbau von JAKOB eine wesentliche Rolle gespielt hat.


Andreas Kuhrt in der Antifa Jugendfront und bei JAKOB

Dass Andreas Kuhrt in der AJF aktiv war, geht aus der Vorstudie “Programmatik und Wirken pädosexueller Netzwerke in Berlin – eine Recherchevon Iris Hax und Sven Reiß hervor.

Im Kapitel „9.7. Von der Morgenland-Bande zur Jugendantifa Edelweißpiraten“ wird über die Gruppen Morgenlandbande, Kinderfrühling, AJF und die Edelweißpiraten berichtet, ohne jedoch den Namen Andreas Kuhrt oder eines seiner Pseudonyme zu nennen. Im Folgenden kann jedoch nachvollzogen werden, dass der namenlose Aktivist aus der Studie tatsächlich Andreas Kuhrt ist.

Im „Kinderfrühling Rundbrief“ steht das Pseudonym „Paschai“ neben einer Kontaktadresse, die auch im Flugblatt der Morgenlandbande verwendet wird. In dem Text „Achtung“ der Gruppe „Fraktion gegen Nebenwidersprüche“ wird neben den anderen Pseudonymen von Andreas Kuhrt auch der Name Paschai erwähnt, unter dem er in den 80’er Jahren in der Westberliner Szene aufgetreten ist. „Er engagierte sich im Bereich Internationalismus und im antifaschistischen Kampf. Aus dieser Zeit ist er als Paschai bekannt.

Der Urheber der Morgenlandbande Flugschriften war am Layout des Antifa Jugendinfo beteiligt, wie man am Vergleich eines Bildmotivs mit Jugendlichen sieht, das sowohl in einem „Morgenlandbande“ Flugblatt als auch in einem „Kinderfrühling Rundbrief“ zu sehen ist. Später wurde dieses Motiv an mehreren Stellen im Antifa Jugendinfo eingesetzt. (siehe „Layout_Vergleich_Jugendinfo-Morgenlandbande“ sowie „Antifaschistisches Jugendinfo_01“ Seite 4, „AntifaJugendinfo_19“ Seite 4 und auf der Titelseite des„AntifaJugendinfo_Ausgabe_Berlin_37“) Bemerkenswert ist ein Symbol, das wie ein durchgestrichenes XX aussieht und sich beim Morgenlandflugblatt am Bildrand eingezeichnet befindet. Dasselbe Symbol taucht nun einige jahre später – diesmal auf die Jacke eines Jugendlichenlichen gezeichnet – erneut auf.

Auch der Gründungsaufruf der „Jugendgruppe gegen Faschismus und Rassismus“ weist in seiner Machart Ähnlichkeiten zu den Morgenlandbande Flugschriften auf. (Siehe „Layout_Vergleich_Gruendungsflugblatt-Morgenlandbande“)

Dass das Titelblatt des ” Antifa Jugendfront_Selbstverständnis” mit leichtbekleideten Jungs, die am Strand spielen, illustriert ist, gibt einen weiteren Hinweis auf das Mitwirken von Andreas Kuhrt beim Layout der AJF Veröffentlichungen.

AJF gegen Schwulenhetze
Aufklebeber der Antifa Jugendfront mit typischen Motiv eines kleinen Jungen

Auf seinem Blog erwähnt Kuhrt in einem Artikel vom 02.02.2022, dass er die Jugendantifa Koordination (JAKOB) zusammen mit einigen Leuten von der Sophie-Scholl Schule gegründet hat.

Es finden sich auf Andreas Kuhrts Blog berlinstreet.de noch weitere Texte, in denen er über seine Erlebnisse im Zusammenhang mit autonomen antifaschistischen Gruppen schreibt.

In dem Text “Gewalt und Gegengewalt” schreibt Andreas Kuhrt, dass er von Mitte der 80’er Jahre bis Mitte der 90’er Jahre in der Autonomen Antifa aktiv war.

In einem Bericht von Andreas Kuhrt über die Räumung der Mainzer Straße in Berlin 1990 schreibt er, dass er dort in einem Haus mit jüngeren Leuten aus einer militanten Antifaschistischen Gruppe zusammenlebte.

Es gibt einen ausführlichen Erlebnisbericht von Andreas Kuhrt über antifaschiste Aktionen im Zusammenhang mit den rassistischen Krawallen im August 1992 in Rostock Lichtenhagen.

Im “Rundbrief_Edelweisspiraten_05” ab Seite 6 schreibt der Autor, sehr wahrscheinlich Andreas Kuhrt, über sein Verhältnis zur AJF. “Ich tue das von meiner Position aus: Ich war seit dem Anfang der AJF in Berlin bis letztes Jahr im Frühjahr (also fast 5 Jahre) dort, im Herbst ’91 habe ich dann mit anderen die Edelweiß-Piraten in Berlin gegründet, im Winter dann auch die bundesweite Edelweiß-Struktur, die für mich ein Schwerpunkt ist.


Missbrauchsstrukturen in der Antifa Jugendfront

Im sehr lesenswerten Text „Achtung“ der Gruppe „Fraktion gegen Nebenwidersprüche“ wird Andreas Kuhrt mit den Pseudonymen PIPO, Ping-Pong, Pong, Paschai und Corleone genannt. Dieses Papier beschreibt am ausführlichsten, wie die Missbrauchsstrukturen rund um die AJF funktioniert haben.

Es wird sein Werdegang bis 1995 geschildert. Im Kapitel „PIPOs Geschichte bis 1989“ kommt auch die Gründung seiner ersten politischen Jugendgruppe Mitte der 80’er vor. Die Gruppe wird nicht namentlich erwähnt, es handelt sich aber um die AJF. Hier wird ausführlich beschrieben wie er die AJF nutzte, um Jugendliche an sich zu binden, und dass er Wohnprojekte und sexuelle “Beziehungen” mit einigen der Jugendlichen aus der AJF hatte. Auch über Erpressungsversuche mit Suiziddrohungen ist hier zu lesen.

Im Kapitel „Die Zeit von 1989 bis 1995“ wird im Zusammenhang mit dem Rauswurf von Kuhrt aus einem Hausprojekt in Ostberlin erwähnt, dass es auch in der Antifa Jugendfront eine interne Auseinandersetzung mit Kuhrt um seine Führungsposition und sein abwertendes Verhalten gegenüber Mädchen gab. Im Zusammenhang mit dem Rauswurf aus dem Hausprojekt verteidigten die AJF-Jugendlichen Kuhrt jedoch und erklärten dass sie weiter eine Auseinandersetzung mit ihm führen und an ihm „dranbleiben“ würden. Dazu heißt es in dem Text: „Leider war das ‚Dranbleiben‘ eine Selbstüberschätzung und eine Ruhigstellung der Kritikerlnnen von Pipo“.


Einordnung der Aktivitäten von Andreas Kuhrt in der Antifa Jugendfront

Aus den gezeigten Quellen geht hervor, dass Andreas Kuhrt sowohl in der „Morgenlandbande“ und im „Kinderfrühling“, die offen Position für Pädophile bezogen und Jugendliche für Wohnprojekte gewinnen wollten als auch später in der AJF und bei JAKOB aktiv war. Bei AJF und JAKOB bediente er sich aber anderer Themen wie den Kampf gegen Rassismus und Faschismus, um Kontakt zu Jugendlichen aufzubauen und sie an sich zu binden.

Sowohl AJF als auch JAKOB richten sich explizit an Schüler / innen. Zum Zeitpunkt der Gründung der „Jugendgruppe gegen Faschismus und Rassismus“ ist Kuhrt bereits 25 Jahre alt. Durch die Reichweite und Mobilisierungskraft von AJF und JAKOB, konnte er relativ unverfänglichen Kontakt zu einer großen Zahl von Jugendlichen aufnehmen. Die Missbrauchsstrukturen fanden am Rande der Gruppe in Wohngemeinschaften mit Kuhrt mit einigen der Jugendlichen aus der AJF statt. Die in den Schriften der „Morgenlandbande“ und des „Kinderfrühling“ propagierten Kommunen mit Erwachsenen (ihm selbst) und Jugendlichen wurden so zur Wirklichkeit.

Anders als später bei den Edelweißpiraten, gab es keine öffentliche Auseinandersetzung aus der AJF heraus mit den Missbrauchsstrukturen in den WG-Projekten von Andreas Kuhrt. Erst durch den Rauswurf von Kuhrt aus dem Hausprojekt in Friedrichshain begann eine breitere Auseinandersetzung mit seinem Verhalten. Dabei konnte Kuhrt die Jugendlichen erfolgreich als Schutzschild gegen Kritik an seinem Verhalten ausspielen, da er vordergründig als antifaschistischer Aktivist auftrat und die Mitglieder der AJF ihn auch als solchen kannten und verteidigten. Bei der Auseinandersetzung mit Kuhrts Missbrauchsstrukturen in seinen WGs haben sich die Jugendlichen aus der AJF offenbar von Kuhrts Argumentation über seine „Beziehungen“ und den Machtmissbrauch täuschen lassen und so gab es damals eben keine klaren Missbrauchsvorwürfe aus der AJF heraus.